MIKROTONALITÄT!
Musik von Alexander Skrjabin, Iwan Wyschnegradsky und Horaţiu Rădulescu
Sie war in der Tat unerhört, als sie in den innovationstrunkenen 1920er-Jahren aufkam und mit dazu beitrug, dass man dieses Jahrzehnt später die Goldenen Zwanziger nennen sollte: die Mikrotonalität, die das Hören damals in ganz neue, eben unerhörte Klangwelten führte. Der Ganzton des halbtönig-temperierten Tonsystems wurde in Viertel-, Drittel- oder Sechsteltöne unterteilt, wodurch sich der Tonraum erheblich erweiterte: In der Vierteltonmusik beispielsweise verdoppelt sich der Tonvorrat von zwölf auf vierundzwanzig Töne. Mikrotonale Musik steht im Zentrum unseres Abends mit dem exzellenten Asasello Quartett.
Hinter dem Namen des Quartetts Asasello verbirgt sich die gleichnamige Figur aus dem 1940 vollendeten Roman „Der Meister und Margarita“ von Michail Bulgakow, der damit ein Schlüsselwerk der avancierten russischen Literatur des 20. Jahrhunderts schuf. Die Mitglieder des Asasello Quartetts verbindet daher auch eine starke Affinität zur russischen Avantgarde in Kunst, Literatur und Musik. 2000 fanden sie sich in Basel zusammen, wo sie die Quartett-Kurse von Walter Levin besuchten. Seit 2004 sind sie in Köln zu Hause, wo sie ihr Studium an der Musikhochschule beim Alban Quartett abschlossen. Gleichwohl sind die Asasellos ein multinational-europäisch besetztes Streichquartett: Der Primarius stammt aus Russland, die Sekundaria aus der Schweiz, die Bratschistin aus Polen und der Cellist aus Finnland.
Das Asasello Quartett beherrscht die klassisch-romantischen Quartett-Literatur, hat aber einen starken Repertoireschwerpunkt auf der Neuen Musik des 20. und 21. Jahrhunderts. Zu deren Vertretern zählt der 2008 verstorbene französisch-rumänische Komponist Horaţiu Rădulescu, der bei Cage und Ligeti, Stockhausen und Xenakis in die Lehre ging. In unserem unerHÖRT!-Konzert steht sein fünftes Streichquartett von 1995 „Before the Universe was born“ auf dem Programm – Musik, die in unergründliche Klanglandschaften der Mikrotonalität führt. Resolut-vital gibt sich das zweite Streichquartett von 1931 des russischen Wahlfranzosen Iwan Wyschnegradsky, eines Pioniers der mikrotonalen Musik. Ein Werk von dessen Lehrer Alexander Skrjabin bildet das Entree in das beziehungsreiche Programm – seine neunte Klaviersonate mit dem satanisch-sinistren Beinamen „Schwarze Messe“ in der kongenialen Bearbeitung für Streichquartett des preisgekrönten französischen Gegenwartskomponisten und Musikwissenschaftlers Gérard Pesson.
Text: Klaus Meyer
Dieses Konzert wird vom Bayerischen Rundfunk – BR Franken mitgeschnitten und auf BR-Klassik gesendet.