Aus der Pianistenarena:

Der junge Pole Szymon Nehring gewann den legendären Arthur-Rubinstein-Wettbewerb und ist nun beim gVe zu erleben.

Text: Sabine Kreimendahl

Es ist gar nicht so leicht Szymon Nehring telefonisch zu erreichen. Seit seinem sensationellen Sieg beim Rubinstein-Wettbewerb 2017, tourt der 23-Jährige durch die Welt und vervollständigt sein Können zusätzlich an der Yale-Universität in der Pianisten-Schmiede von Professor Boris Berman.

Nehring befindet sich bei unserem Telefonat gerade in der Passabfertigung des Flughafens Krakau auf dem Weg nach New York, um sodann weiter zur berühmten Yale School of Music zu reisen. Dort hat er ein Appartement und „fantastische Möglichkeiten zur Weiterentwicklung“. Er ergänzt begeistert: „Ich brauche auch die intellektuelle Entwicklung und die bekomme ich dort, weil es eben nicht nur eine Musikschule, sondern eine Universität ist“.

© Wojciech Grzędziński

„Unglaublich glücklich, aber auch etwas erschrocken“ sei er gewesen, so schildert der damals 21-jährige polnische Pianist Szymon Nehring seine Gefühle nachdem er als Erster Preisträger des 15. Arthur-Rubinstein-Wettbewerb, 2017, ausgewählt worden war. Im Gespräch mit dem gVe freut sich Nehring: „Das Tolle an diesem Wettbewerb ist, dass ich mit diesem Preis in einer ganz anderen Liga spiele als davor. Ich führe ein komplett anderes musikalisches Leben und kann nun eine Menge Konzerte mit hervorragenden Orchestern und tollen Dirigenten spielen.“

Der in Tel Aviv ausgetragene internationale Rubinstein-Klavierwettbewerb zählt zu den anspruchsvollsten und bedeutendsten seiner Art. Nach einer Vorauswahl von einigen hundert eingesandter Tonaufnahmen, haben die 30 ausgewähltenTeilnehmer bei dem knapp dreiwöchigen Pianisten-Marathon ein immenses Programm zu bewältigen:

Zwei einstündige Rezitals, dazu ein klassisches oder romantisches Klavierquartett und zwei große Klavierkonzerte sind in diesem Zeitraum vor einer gestrengen Jury vorzustellen. Das ist gewaltig, fast gewaltsam, ein pianistischer „Höllenritt“.

Der legendäre Wettbewerb besteht seit 1974 unter Mitbegründung des berühmten Pianisten Arthur Rubinstein und wird alle drei bis vier Jahre ausgetragen. Die Jury besteht aus elf Juroren, allesamt renommierte Pianisten.

Wer hier ins Finale kommt, hat es geschafft. Fast immer ist der Wettbewerb das Sprungbrett für eine große Karriere. In der Riege namhafter Preisträger sind Daniil Trifonov oder Alexander Gavryluk zu nennen. Gerhard Oppitz ist der einzig deutsche Pianist, der 1977, mit nur 24 Jahren, siegreich aus dem Wettbewerb hervorging.

Diese Fußstapfen sind für Szymon Nehring ebenso bedeutend wie das gut dotierte Preisgeld von 40.000 US-Dollar.

Sechs von den in Tel Aviv auftretenden Pianisten gelangen schließlich ins Finale.

Das Niveau des 15. Rubinstein-Wettbewerbs sei so hoch wie nie zuvor gewesen, lobt der Vorsitzende der Jury, der israelische Pianist Arie Vardi. Das Profil des Wettbewerbs sei einzigartig in der Welt:

„Was diesen Wettbewerb auszeichnet, ist zum einen das Mainstream-Repertoire. Das entspricht dem Profil von Arthur Rubinstein, dessen Repertoire auch aus Chopin, Mozart, Beethoven, Brahms bestand. Zum anderen ist es uns wichtig, dass der Wettbewerb Festivalcharakter hat. Deshalb ist es erlaubt, Zugaben zu spielen und eine Beziehung zum Publikum aufzubauen. Von der ersten Stufe des Wettbewerbs an spielen die Teilnehmer vor einem ausverkauften Saal. Der Rubinstein-Wettbewerb ist gewissermaßen ein Festival unter Beteiligung einer Jury.“

Knapp 2500 Zuhörer finden im Bronfman-Auditorium Platz, dem Konzertsaal des Israel Philharmonic Orchestra. Unter das Wettbewerbs-Publikum mischen sich Musiker, Komponisten, Musikagenten, Vertreter großer internationaler Konzerthäuser und Klavierbauer. Einzelne von ihnen haben Artur Rubinstein noch im Konzert erlebt.

© Bruno Fidrych

Janina Fialkoska und Dina Yoffe gehören dazu. Sie amtieren gemeinsam mit ihren Pianisten-Kollegen Peter Donohoe, Menahem Pressler, Elisso Virsaladze und sechs weiteren Juroren unter der Leitung von Arie Vardi. Gemeinsam sind sie einem Klang auf der Spur, der „außergewöhnlich und unvergleichlich“ sein soll. Szymon Nehring hat die gestrenge Jury restlos überzeugt. Eine Amerikanerin, einen Rumänen, einen Polen, einen Koreaner, einen Kanadier chinesischer Herkunft und einen Israeli. Für die letzte Wettbewerbsrunde wählten drei von ihnen aus den 19 zur Auswahl stehenden Konzerten für Klavier und großes Orchester das Konzert Nummer 3 von Sergej Prokofiev. Daniel Ciobanu zum Beispiel. 25 Jahre alt, geboren und aufgewachsen in Rumänien. Er studiert an der Universität der Künste in Berlin. Seine „große rhythmische Kraft und Präzision, sein unverwechselbarer Zugang zu den von ihm interpretierten Werken und auch seine körperliche, mimische und gestische Präsenz“ haben das Publikum in Tel Aviv begeistert und auch die Jury überzeugt. Daniel Ciobanu wurde mit dem Zweiten Preis ausgezeichnet. Sara Daneshpour aus den USA spielte das dritte Klavierkonzert von Sergej Rachmaninow. Daneshpour zeigte sich in allen Phasen des Wettbewerbs und besonders auch im Finale als „ausdrucksstarke, kenntnisreiche und kluge Interpretin mit einem tiefgehenden Verständnis für musikalische Struktur und innere Sinnzusammenhänge“. Die Jury würdigte ihre Leistung mit dem dritten Preis. Der 21-jährige Szymon Nehring aus Krakau bereitete für das Grand Concerto im Finale auch Rachmaninows drittes Konzert vor. Aus sehr persönlichen Gründen, wie er sagt:

„Mein Großvater hat mich und das Klavier zusammengebracht. Sein Lieblingskonzert für Klavier ist Rach 3. Vor vielen Jahren hat er mir eine Aufnahme des Konzerts von Peter Donohoe geschenkt, der hier einer der Juroren ist. Auf Schallplatte. Es war immer mein Traum, Rach 3 zu spielen, so wie für viele Pianisten. Für mich war es aber noch mehr: Es war eine Art Ehrbezeugung gegenüber meinem Großvater, dass ich heute hier dieses Konzert spielen konnte.“

Nach dem letzten Konzertabend der Finalrunde mit den großen Klavierkonzerten und dem Israel Philharmonic Orchestra unter Leitung von Omer Meir Wellber harrt das Publikum aus, bis die Jury nach etwa 40 Minuten ihre Entscheidung verkündet.

Szymon Nehring, der mit fünf Jahren begann, Klavier zu spielen, ist Absolvent der Musikakademie in Bydgoszcz. Beim Internationalen Chopin Wettbewerb in Warschau, 2015, war der damals 19-Jährige zwar auch unter den Finalisten, wurde aber nicht von der Jury, sondern vom Publikum mit einem Preis bedacht. In Tel Aviv, zeigt sich Nehring mit einer weiten klanglichen Varianz, einem tiefen Musikverständnis und einem einzigartigen Anschlag. Das Votum der elfköpfigen Jury war nahezu einstimmig ausgefallen. Neben dem ersten Preis der Jury wurde Nehring mit fünf weiteren Preisen ausgezeichnet, unter anderem dem Preis für die beste Interpretation einer Komposition von Chopin. Dabei mag Nehring Wettbewerbe eigentlich nicht:

„Musik hat nichts mit Wettbewerb zu tun. Wir spielen auf Wettbewerben, weil wir in der Zukunft mit guten Orchestern spielen wollen und Musik machen wollen. Dieser Wettbewerb aber, ist besonders. Er ist ein Festival. Das Publikum ist so warm und geht so sehr aus sich heraus. Es war so schön, so viel Unterstützung vom Publikum zu bekommen.”

Dennoch bleibt Nehring bescheiden, meint: „Ich habe noch viel zu lernen, um der Musik wirklich nahe zu sein.“

Er hat tatsächlich einen Lieblingskomponisten: Franz Schubert. Dessen a-Moll-Sonate (D 784) und die Wandererfantasie studiert er gerade. In seiner CD-Edition findet sich noch kein Schubert, aber er sei ja jung, freut er sich und meint, für Schubert bräuchte er noch Zeit. Auch will er nicht zu viele Konzerte spielen: „Nur so kann man interessiert und inspiriert bleiben, nur so kann man sich verbessern. Das tägliche Üben muss diese Qualität haben.“

Zum Ausgleich betreibt der junge Pianist Pilates-Training, Schwimmen und fährt im Sommer gerne Fahrrad. Als Lieblingsautor gibt er Dostojewskij und dessen Roman „Der Idiot“ an. Momentan liest er gerade begeistert „Jenseits von Eden“ von Steinbeck.

Sein Leben verläuft glücklich, Schritt für Schritt bereite er seine Karriere vor. Anstrengend und nervig sei in seinem Leben eigentlich nur das Reisen. Er vergeude seine Zeit einfach nicht gerne, sagt Nehring.

Mit den Bamberger Symphonikern hat der 23-Jährige einen souveränen Partner und mit dem zweiten Klavierkonzert ein wunderbares Werk seines berühmten polnischen Landsmann Chopin ausgewählt. Das Erlanger Publikum darf gespannt sein auf Szymon Nehring, der zur ersten Riege der Nachwuchspianisten gehört.