Zwei Musik-Romane

„Amadeus auf dem Fahrrad“ und „Die Dirigentin“

Autorin: Sabine Kreimendahl

Romane, die sich mit der Musik beschäftigen, können reizvoll sein, bergen jedoch die Gefahr der Oberflächlichkeit, der Verfälschung von Tatsachen, gerade, wenn es um biographische Darstellung von Komponisten oder Musikern geht. Lesenswert sind die beiden nachfolgenden Romane in jedem Fall, denn sie sind spannend und berührend und das Thema Musik spielt eine wichtige Rolle.

„Amadeus auf dem Fahrrad“ von Rolando Villazón

Roman, gebunden, 409 Seiten, aus dem Spanischen übersetzt von Willi Zurbrüggen, Rowohlt Verlag, 16. Juni 2020, 26,00 €

Rolando Villazón: Amadeus auf dem Fahrrad (© Rowohlt Verlag)

Es ist bereits der dritte Roman des bekannten mexikanischen Operntenors Rolando Villazón. Da verwundert es kaum, dass Villazón, bekannt auch durch seine extrovertiert-exaltierte „Klassik-Radio“-Moderation, in seiner Erzählung teilweise autobiographische Erlebnisse verarbeitet. Als Intendant der „Mozartwoche Salzburg“ und Opernregisseur kennt Villazón die Materie Salzburg und Mozart unter vielen Aspekten.

Ansprechend ist bereits der gefällige Buchumschlag, der in fröhlichen Farben, die Kulisse Salzburgs und einen radelnden Mozart sowie Bühnenaktion und einen Leser in frühlingshafter Illustration zeigt. Dieses hübsch aufgemachte Buch nimmt mancher Leser, manche Leserin gewiss gern in die Hand. Gleichzeitig wird damit bildhaft einiges von der Handlung verraten:
Es geht um den jungen Mexikaner Vian Mauer, der davon träumt in Salzburg ein großer Sänger zu werden. Vian liest alles, was er über Mozart finden kann, er erkundet die Festspielstadt und erlebt dort einen bizarren Sommer. Letztlich geht es bei Vian darum, sich von seinem strengen Vater, der seine Berufsträume ablehnt, abzunabeln. Bei seinem mehrwöchigen Aufenthalt in Salzburg lernt Vian nicht nur den Zauber der Festspielstadt kennen, sondern auch den Festspielbetrieb bei der Vorbereitung des „Don Giovanni“, wo er als Statist mitwirkt. Dabei lernt er die junge Regieassistentin Julia und deren Freund Jacques, einen anstrengenden Intellektuellen und Zyniker, kennen. Der Leser wird in den freien, suchenden Geist des Ich-Erzählers Vians lebhaft mit einbezogen. Villazóns sprühendes, erzählerisches Temperament ist dabei deutlich wiedererkennbar. Bühne und Wirklichkeit verweben sich immer wieder in diesem jungen Roman. Die Romanfiguren nehmen Rollen in der „Don Giovanni“-Inszenierung ein. Dieses Element von Fiktion und Wirklichkeit macht Villazóns Erzählstil spannend, interessant und hebt es über eitle autobiographische Selbstdarstellung hinaus. Sympathisch sind die Pannen, die dem Hauptprotagonisten widerfahren. Das ist komisch und lebensnah, ebenso wie die Schilderung praktischer Nöte, in die Vian gerät. Vian ist ein weltfremder junger Mann, der durch banale Erfahrungen seine Unabhängigkeit, seinen Weg hart erringt. Nebenher erfährt der Leser einiges über Stimmfachwechsel, einem autobiographischen Bezug zum Autor und die mühsame Tour des Vorsingens, um ein Engagement zu ergattern. Die Begeisterung, die leidenschaftliche Empathie, mit der Villazón immer wieder von Mozart schwärmt, zum „alter Ego“ desselben wird, ist in dieser naiven Intensität berührend. Das hat bisweilen blumige Ausbrüche oder an wenigen Stellen auch Langatmigkeit zur Folge. Insgesamt aber ist es ein Roman, der sich vergnüglich liest, Sommer, Salzburg und Musik unterhaltsam, niveauvoll verbindet. Es ist auch ein Roman für jugendliche LeserInnen.

Rolando Villazón Foto: Monika Hoefler

„Die Dirigentin“ von Maria Peters

Roman, gebunden, 336 Seiten, aus dem Niederländischen übersetzt von Stefan Wieczorek, Atlantik im Hoffmann und Campe Verlag, 2020, 22,00 €.

Maria Peters: Die Dirigentin (© Hoffmann und Campe Verlag)

Es wirft ein bezeichnendes Bild auf die berufliche Emanzipation von Frauen, dass Dirigentinnen auch heute noch die Ausnahme sind, trotz der jungen Generation mit großartigen Vertreterinnen dieses Berufes wie Joana Mallwitz oder Oksana Lyniv. Die niederländische Autorin und Filmregisseurin Maria Peters hat sich die Geschichte von Antonia Brico (1902-1989) vorgenommen, die als erste Frau in den 1930er-Jahren die Berliner Philharmoniker und New Yorker Philharmoniker dirigierte und ein erfolgreiches Frauenorchester gründete. Im vergangenen Herbst kam ein klassischer, bilderstarker Hollywood-Film dazu von Peters heraus. Dieser bleibt jedoch – eben hollywoodtypisch – in vielen Klischees und Schönzeichnerei hängen. Schade, denn es gibt zwar spärliches, aber interessantes Original-Filmmaterial mit Interview zu Antonia Bricos Leben.

Nun hat die Drehbuchautorin Peters zu Antonia Brico einen Roman nachgelegt. Der ist gut lesbar, und emotional geschrieben, folgt inhaltlich dem Drehbuch inklusive künstlerischer Freiheit. Die Geschichte beginnt im New York der 1920er-Jahre: Willy Wolters ist eine junge Frau mit niederländischen Wurzeln, verfolgt in ärmlichen und lieblosen Verhältnissen aufwachsend, einem Traum: Sie will Dirigentin zu werden. Tagsüber arbeitet sie als Schreibkraft in einem Büro, abends als Platzanweiserin in einem Konzerthaus. In den Pausen schleicht sie sich auf die Männertoilette – dem einzigen Ort, an dem sie ungestört der Musik folgen kann. Dann wird aus einem Essstäbchen von Mr. Huang ein Taktstock. Und aus der Platzanweiserin letztendlich eine Dirigentin. Mehr sei nicht verraten. Der Weg der jungen Brico dahin ist ehrgeizig, hart, voller Probleme und Schwierigkeiten, welche eindrücklich, spannend und realistisch erzählt werden. Natürlich ist in diesem Roman noch eine Liebesgeschichte verpackt, manches ist in Schwarz-Weiß-Malerei gehalten, aber insgesamt mitreißend geschrieben.

„Die Dirigentin“ ist ein typisches „Frauenbuch“ (auch für junge Frauen), das großes Lesevergnügen bereitet. Peters´ Roman erweckt in der Leserin Solidarität für „andere“ Frauen. Einmal mehr erzeugt diese Geschichte fesselndes Erstaunen über die Ungerechtigkeiten innerhalb einer männerdominierten Welt, denen Frauen so lange ausgeliefert waren, sind. „Me too“ gab und gibt es schon lange, die beruflichen Kämpfe, um adäquat im Arbeitsleben zu bestehen, auch. Es tut der Seele und der Empörung gut, wenn auch diese Themen in diesem Buch verarbeitet sind, macht dieses Buch „modern“.

Der Film ist derzeit in der ARD-Mediathek bis 3.5.2021 verfügbar ist.