Durchweht vom Geist der Aufklärung
András Schiff und das Orchestra of the Age of Enlightenment
Er ist ein Grandseigneur der Kunst des Klavierspiels, ein Dirigent von Rang, ein gefragter Pädagoge und ein engagierter Weltbürger, für den sich Kunst und Politik nicht trennen lassen – András Schiff, pardon: The Knight Bachelor Sir András Schiff, der 1953 in Budapest geborene Musiker, der neben der ungarischen auch die österreichische und die britische Staatsbürgerschaft besitzt. Mit seiner Ehefrau, der sieben Jahre älteren japanischen Geigerin Yūko Shiokawa, lebt er abwechselnd in London, Florenz und Basel. Neben Ungarisch spricht er fließend Deutsch und Englisch. Vor allem aber beherrscht er die für alle Welt verständliche Sprache der Musik. Als tiefsinniger Interpret von Bach und Mozart, Beethoven und Schubert ist er legendär, doch bildet die gesamte deutsch-österreichische Tradition vom Barock bis zur Spätromantik seine Domäne, und natürlich versteht er sich auch auf die Musik seines Landsmannes Béla Bartók. Ganz gleich welches Repertoire, seine Auftritte lassen Konzertabende zu einem Highlight jeder Saison werden.
OAE – Orchestra of the Age of Enlightenment
Im November 2024 spielte András Schiff beim gVe das d-Moll-Konzert von Brahms mit dem Budapest Festival Orchestra unter Iván Fischer. Fast auf den Tag genau ein Jahr später kommt er Ende November 2025 wieder nach Erlangen – dieses Mal als Pianist und Dirigent in Personalunion an der Spitze eines der weltbesten Originalklang-Ensembles. Es ist das Orchestra of the Age of Enlightenment (OAE), das Orchester des Zeitalters der Aufklärung aus Großbritannien, 1986 gegründet und im Southbank Centre in London zu Hause. Bis heute verzichtet das Orchester auf einen Chefdirigenten, aber von Beginn an geben sich an seinem Pult die internationalen Dirigier-Stars als Gäste in stetem Wechsel den Taktstock in die Hände, darunter die Crème de la Crème der Dirigenten der Historischen Aufführungspraxis, wie Roger Norrington und Philippe Herreweghe, René Jacobs und Ton Koopman sowie viele andere. Alle sind sie beeindruckt und begeistert von den überragenden Qualitäten dieses Orchesters. Für András Schiff ist das OAE „ein einzigartiger Klangkörper“, und er schwärmt weiter: „Seine Mitglieder musizieren nicht bloß historisch orientiert und informiert, sondern extrem intelligent, homogen und kammermusikalisch.“


Joseph Haydn – „Nahezu ein Kant der Musik“
Zur Schnittmenge im Repertoire von András Schiff und dem Orchestra of the Age of Enlightenment gehört als eine der großen Konstanten die Musik von Joseph Haydn. Als Vater von Symphonie und Streichquartett hat er die beiden Gattungen in ihre konsolidierte Gestalt gebracht und damit den Stil der Wiener Klassik federführend mitgeprägt. Strukturelle Ordnung, rationale Klarheit und die direkte Ansprache der Hörenden sind Markenzeichen von Haydns Stil. Dahinter steht der aufklärerische Appell an das Publikum, sich seines musikalischen Verstandes zu bedienen und mit wachem Verstand zuzuhören. Damit aber rückt der Komponist in die Nähe seines Zeitgenossen Immanuel Kant, dem Philosophen der Aufklärung, der deren Idee mit der Aufforderung „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“ auf den Punkt brachte. „Nahezu ein Kant der Musik“, so wurde Haydn dementsprechend einmal apostrophiert. Das OAE und András Schiff widmen ihm einen Abend, der – höchst ungewöhnlich für den Konzertbetrieb – ausschließlich aus seiner Musik besteht. „Man sollte viel öfter reine Haydn-Programme spielen“, meint András Schiff, „allein schon, weil Haydn zu den fünf oder sechs Komponisten der Musikgeschichte gehört, mit denen man gut und gern, ganz bequem, ein ganzes Konzert gestalten kann.“
Erlesene Auswahl
Für ihr Gastspiel in Erlangen haben András Schiff und das Orchestra of the Age of Enlightenment eine erlesene Auswahl von Werken aus drei charakteristischen Stilphasen Haydns zusammengestellt. Mit jugendlicher Verve und glühender Leidenschaft starten sie in den Abend – mit der frühen g-Moll-Sinfonie Nr. 39 aus dem Jahrzehnt zwischen 1765 und 1775, das man später als die Sturm-und-Drang-Periode des Komponisten charakterisiert hat. Weiter geht es mit der festlichen, hochgestimmten Sinfonia concertante in B-Dur, de facto ein Konzert für vier Soloinstrumente – Oboe, Fagott, Violine, Violoncello – und Orchester. Das Werk entstand 1792, während Haydns erstem Londonaufenthalt, und es ist vielleicht das kostbarste Juwel der seinerzeit so beliebten Gattung der Konzertanten Sinfonie.
Auch der zweite Teil des Abends steht zunächst ganz im Zeichen der Konzertanten Sinfonie. Aus den frühen 1780er-Jahren, in der Haydn den Wiener-Klassik-Stil konsolidierte, stammt sein berühmtestes, bekanntestes und beliebtestes Klavierkonzert – das in D-Dur mit dem spritzigen ersten Satz, dem tiefsinnigen Poco Adagio als Mittelsatz und dem feurigen Rondo all’Ongarese als mitreißendes Finale. Den krönenden Abschluss des Abends bildet schließlich die Londoner Sinfonie Nr. 102 aus der Zeit von Haydns zweiter Englandreise 1793/94. Dem britischen Musikessayisten und Haydn-Kenner ersten Ranges Donald Francis Tovey galt die Nr. 102 neben dem Streichquartett op. 77, Nr. 2 und der Londoner Sinfonie Nr. 104 nicht weniger als „eines der drei größten Instrumentalwerke des Komponisten“ – die Erlanger Heinrich-Lades-Halle, durchweht vom Geist der Aufklärung beim Haydn-Abend mit András Schiff und dem Orchestra of the Age of Enlightenment.
Text: Klaus Meyer