Christine Eichels Biographie über Ludwig van Beethoven:
„Der empfindsame Titan“, Blessing 2019
Autorin: Sabine Kreimendahl
Wie sieht die ideale Biographie aus? Diese Frage ist in dieser Allgemeinheit wohl schwer zu beantworten, da jeder Leser, jede Leserin unterschiedliche Schwerpunkte setzt. Das ist im Fall des Jubilars Ludwig van Beethoven nicht anders: Der Wissenschaftler mag es mit vielen Fußnoten, genauester Quellenlage, Fakten. Der Historiker bevorzugt eine bilderreiche und damit die Geschichte beleuchtende Ausgabe. Die Romanleserin liebt einen flüssigen Lebenslauf, spannend ausgeschmückt mit (erfundenen) Details von Person und Emotionen. Der musikalisch orientierte Leser möchte möglichst viel über die Musik, deren historische Aufführungspraxis, die Interpretationsgeschichte von Werken und vielleicht noch über den Zusammenhang zwischen Künstlerbiographie und Werkentstehung erfahren. Es ist also schwierig bis unmöglich für jeden Lesertyp eine bestimmte Biographie als perfekt zu benennen.
Und dennoch scheint die pünktlich zum Beethovenjahr erschienene Biographie von Christine Eichel „Der empfindsame Titan“ viele Lesertypen einzubeziehen.
Die in Berlin lebende Autorin und Publizistin, 1959 geboren, ist Musik- und Literaturwissenschaftlerin und hat über die Musiktheorie Theodor W. Adornos promoviert. Bereits mit ihrem Buch „Deutschland. Lutherland“ (2015 zum Lutherjahr erschienen ), erregte Christine Eichel großes Aufsehen. Nun also Beethoven, erschienen im Blessing-Verlag.
Das Buch dürfte ein ähnlicher Erfolg werden: Christine Eichel schafft es nämlich – im gut lesbaren, wunderbar gehobenen Sprachstil – die Balance zwischen lebendiger Vita, sauberer Recherche und Werkauswahl samt Würdigung zu halten.
Da ist die Gliederung des gut 400 Seiten umfassenden Bandes mit hellrot-weißem Beethoven-Porträt im Umschlag schon ein hervorragender Leitfaden, der die literarische und geistige Qualität der Autorin zeigt:
Dem Prolog und der Einleitung folgen sechs markant überschriebene Kapitel. Der Anhang bringt nach einem Epilog die üblichen Register von Anmerkungen, Bildnachweis, Werk- und Peronenregister.
Provokant ist Eichels Ansatz:
„Das Leben Ludwig van Beethovens gleicht mancher Rockstarexistenz heutiger Tage: schwierige Kindheit, rebellisches Künstlertum, provokatives Auftreten – dennoch reißen sich alle um ihn. Er ist das erste Enfant terrible der Musikgeschichte, das Zugang zu höchsten Kreisen hat. Ein Mann, der Freund und Feind düpiert, der die richtigen Leute kennt und die falschen Frauen liebt. Wohltemperiert ist so garnichts an diesem Komponisten. Er führt ein Leben auf der Überholspur, leidenschaftlich, arbeitsbesessen, selbstzerstörerisch. Sogar sein traurigen Ende ähnelt dem mancher Rockstars: Ein körperliches Wrack und der Alkoholsucht tief erlegen, stirbt Beethoven mit gerade mal sechsundfünfzig Jahren.“ (S. 21)
Es ist klug, dass Christine Eichel nicht den Versuch unternimmt, über Beethovens Werk allgemein oder – noch ermüdender, unbefriedigender für den Leser – jedes Werk zu beschreiben.
Stattdessen pickt sich Eichel wenige markante Werke heraus und zeigt an diesen das biographische, psychologische Umfeld, die künstlerische Entwicklung und die Besonderheit des jeweiligen Werkes auf. Das verrät auch schon der Untertitel des Buches „Ludwig van Beethoven im Spiegel seiner wichtigsten Werke“. Das liest sich alles gut verständlich, musikwissenschaftlich durchdrungen, ist feinfühlig differenziert und problematisiert.
Diese Biographie ist spannend und aufschlußreich, ein hochgelungener, seriöser Beitrag zum Beethovenjahr, geeignet für unterschiedlichste Lesertypen. Viel Lesefreude für kleines Geld, viel Fundiertes, große Klasse!