Ein aufregender Abend: Spannende
Einblicke in die Probenarbeit mit Joana Mallwitz und der Staatsphilharmonie Nürnberg
Autorin: Sabine Kreimendahl
Der gVe hat – dank der Vermittlung des gVe-Vorsitzenden Jörg Krämer – wenige Karten für die Hauptprobe zum ersten Philharmonischen Konzert unter der Leitung von Joana Mallwitz – organisieren können.
Der Andrang nach Versendung der Briefe an die Mitglieder war gewaltig und das Angebot mit 25 Karten sehr begrenzt, leider! Das gab lange Gesichter, verständlich. Die Karten waren am Mittwoch Morgen (26.1.) nach einem Ansturm auf die Telefonleitung des gVe binnen einer halben Stunde vergeben.
„Bevorzugungen gab es keine“, betont Geschäftsführer Julian Fischer entschieden. Er selbst wäre gerne hingegangen, verzichtete.
Man kann über dieses Verfahren diskutieren: Wäre es gerechter gewesen die wenigen Karten per Losverfahren zu ziehen? Julian Fischer rechtfertigt, dass es bei dem Postweg-Verfahren darum ging, auch die älteren, langjährigen gVe-Mitglieder einzubinden, von denen viele keine E-Mail haben, bzw. diese dem gVe nicht mitgeteilt haben.
Schade ist es, dass zur Hauptprobe nur ca. 150 Personen nach strenger und personell hochbesetzter Einlasskontrolle in der großen Meistersingerhalle zugelassen waren. 2100 Plätze fasst der Saal bei 1500 qm im Parkett und zusätzlich 570 qm im Rang.
So war es eine wahrlich „exklusive Veranstaltung“ für die Gruppen des „Förderverein der Staatsphilharmonie“, der „Freunde der Staatsoper“, des „Damenclub der Oper“, der „OPERAVIVA“ und anderen Partnern. Schön, dass der gVe wenige (kostenfreie) Karten für die Hauptprobe ergattern konnte!
Drei Stunden dauert die Probe, langweilig wird es keine Sekunde. Denn Generalmusikdirektorin Joana Mallwitz arbeitet hochkonzentriert, spannend, korrigiert stringent. Verblüffend sind die Resultate nach ihren Ansagen: Das klingt dann deutlich lebendiger, besser. Höchst professionell geht es auf beiden Seiten zu. Schnell die Ansagen, Stelle, Taktstock und los.
Mallwitz, in schlichter schwarzer Stretchhose, kurzärmeliger T-Shirt-Bluse, grauem Pullover und schwarzen, flachen Sportstiefeln, begrüßt das Publikum herzlich: „Wunderbar, dass Sie da sind und uns hier bei der Arbeit über die Schulter schauen.“ Geprobt wird für das zwei Tage später stattfindende (ausverkaufte) Konzert „Sehnsucht“ am 28.1.
In Lera Auerbachs symphonischem Bild „Icarus“ (2006 uraufgeführt) geht es heftig zur Sache. Mallwitz stellt die besonderen Instrumente, Elektronik, Schlagwerk, Kristallgläser vor, die den ohnehin gigantischen Orchesterapparat nochmals vergrößern. Präzise akzentuiert sie die rhythmische Schlagkraft des Werkes, artikuliert die Rhythmen exakt vor. Es ist ein mitreißendes Werk, das da erarbeitet wird. Das Orchester folgt Mallwitz hellwach, konzentriert. Und es macht spürbar allen Philharmoniker-Mitgliedern Laune.
Nach einer halben Stunde Probenzeit, erscheint ein Superstar der Klarinettenszene: Sharon Kam kommt lachend, schwungvoll herein, um das Publikums-Lieblingswerk für dieses Instrument, Mozarts Klarinettenkonzert, mit den Nürnbergern zu proben. Es ist die erste Zusammenarbeit zwischen Kam und den Philharmonikern. Temperament hat die israelisch-deutsche 50-jährige Musikerin mit der rauhen Stimme und viel Ehrgeiz, genaueste Vorstellungen von der Interpretation, dem Solo-Tutti-Austausch.
Sharon Kams Karriere begann mit Mozarts Klarinettenkonzert. Unzählige Male hat sie es seither mit verschiedenen Orchestern musiziert, eingespielt. Erstaunlich, dass da immer noch keinerlei Überdruss zu hören ist. Sharon Kam fordert mehr Ausdruck, stimmt sich mit Mallwitz ab. Die fantastische Klarinettistin mit dem unverwechselbaren Klang beeindruckt durch mitreißende Virtuosität, punktgenaue Phrasen.
Mozarts erster Satz ist wunderbar luzide, hat atemberaubende dynamische Stufen. Da wird selbst dieser „Hit“ neu gehört. Sharon Kam wäre auch eine gute Dirigentin, hat sie doch sehr genaue Vorstellungen vom Orchesterklang und den Ausdruckslinien, der Gewichtung der Stimmgruppen. Mallwitz korrigiert: Die Töne, Phrasen, Linienführung entfalten sich mit himmlischer Spannung. Ja, so kann es gehen, so soll es sein: Mozart mit Gänsehaut!
Der vielleicht schönste langsame Satz Mozarts mag nicht so recht klingen: Probleme mit der Klarinette. Sharon Kam schimpft, ärgert sich über diese Panne. Mallwitz winkt ab und macht vorzeitig eine Tutti-Pause, damit alle sich wenigstens kurz erholen, statt nur zu warten. Die Klarinettistin kann so in Ruhe für instrumentalen Ersatz sorgen.
Schönere Ritardandi, beste Korrespondenz mit dem Orchester lassen sich sodann kaum vorstellen. Temperamentvoll und strukturklar geht’s durch muntere Finale. Nun ist die strenge Klarinettistin weitgehend zufrieden, das Publikum begeistert.
Flott erfolgt die Umstellpause für Tschaikowskys 4. Symphonie. Mallwitz bemängelt zu helle Scheinwerfer. Sie fordert und markiert den pompösen Signalbeginn des ersten Satzes mit äußerster Strenge. Sie will die Dynamik ohne Lärmen, in imposant-klarer Wirkung. Dann lässt sie die Sätze durchlaufen. Es erklingt eine Symphonie voll feuriger Eleganz, frei von effektschreierischem Lärm. Die Genauigkeit der jungen Generalmusikdirektorin ist atemberaubend: Mit ihrem beredten Gestus, dieser Konzentration, dieser Strenge zur Musik ist Joana Mallwitz eine bewunderndswert effektive, künstlerische Leiterin. Nichts bleibt dem zufälligen Durchlauf überlassen. Mallwitz lebt auf in der Musik und kann dem Orchester diese vitale, professionelle und hochmusikalische Gegenwärtigkeit vermitteln. Das Orchester ist ihr Instrument, dem sie alles abverlangt, wahrlich!
Das „Pizzicato-Scherzo“ swingt fröhlich mit markant-gefärbten Betonungen. Das brausende Finale ist ein musikalisch-dynamisch gebändigter Tumult. Diese kultiviert-temperamentvolle Herangehensweise gibt die Option zum Crescendo in der Schlusscoda: Kompositorisch vergleichsweise simpel, evozieren Mallwitz und das Orchester Hörjubel statt eines bisweilen zu erlebenden lautstarken Überdrusses. Toll ist das, mitreißend! Freundlich-autoritär winkt Mallwitz den begeisterten Beifall des Publikums ab. Auch hier zeigt sie angenehme Autorität.
Spannend, interessant und mitreißend war diese Probe. Es wäre eine öffentliche Aufführungsform, die von den Veranstaltern hier häufiger gewählt werden sollte, gerade in diesen Zeiten! Das müsste ja nicht kostenfrei sein …
Herbert Blomstedt, der 95-jährige große, weise schwedische Dirigent, der auch bei einer gVe-Exkursion zu den „Bambergern“ im Sommer 2018 zu erleben war, betont in dem lesenswerten Interview-Buch „Mission Musik“ (von Julia Spinola, Henschel 2017), diese kluge Strategie im Bereich klassischer Musik in Japan. Dort wird das Publikum gut erreicht, „nicht nur durch die Konzerte, sondern auch durch Diskussionen, Vor- und Nachbereitungen und Einführungen, Proben. Sie laden Musiker, einfache Zuhörer und Kritiker ein, damit ein Dialog entsteht. Dieses Engagement ist ein Grund dafür, warum das Interesse für klassische Musik in Japan so groß ist. Das funktioniert wunderbar. Wer die Musik in die Zukunft führen will, muss alle Seiten zusammenbringen.“
Das Interesse wäre im Raum Nürnberg-Erlangen gewiss vorhanden, jüngeres Publikum ließe sich unkompliziert einbeziehen …