Lenz Koppelstätter: “Almas Sommer”,
erschienen im April 2022
Lenz Koppelstätter: Almas Sommer. Roman
Kindler Verlag, 2022
208 Seiten
20,- Euro
14,99 Euro (E-Book)
Autorin: Sabine Kreimendahl
Es ist immer mutig ein Buch über Alma Mahler, die Ehefrau des Komponisten Gustav Mahlers, zu schreiben. Denn Alma Mahler (1879-1964), geb. Schindler, ist eine äußerst umstrittene Persönlichkeit in der Kulturgeschichte.
Der Südtiroler Autor Lenz Koppelstätter, schreibt vor allem erfolgreich Südtirol-Krimis mit viel Lokalkolorit um den Polizeikommissar Johann Gruaner.
Dank einer Förderung des Landes Südtirol konnte sich der 40-jährige Koppelstätter nun auf ein anderes Genre einlassen und hat sich in seinem neuen Roman dem Leben von Gustav und Alma Mahler zugewandt: „Almas Sommer“ umfasst dabei die Zeit von Juli 1910 bis September 1912, hauptsächlich die Stationen der Sommermonate der Mahlers in Toblach, wo Mahler komponierte, aber auch Impressionen aus Tobelbad, wo Alma zur Kur weilte. Hinzu kommen Episoden aus Wien und New York. Auch die Begegnung mit Sigmund Freud im holländischen Leiden ist kurz skizziert und Mahlers Tod.
Lenz Koppelstätter hat ein lebendiges, farbiges Skizzenbuch vorgelegt, in welchem es nicht vorrangig – wie der Titel vermuten ließe – um Alma geht, sondern um Gustav und Alma, um die Qualen dieser Ehe.
Es gelingt Lenz Koppelstätter die egozentrisch-neurotischen Züge beider Protagonisten in detaillierten Beobachtungen, Episoden zu schildern. Das hebt den Komponisten vom Sockel, zeigt Alma als eigene Persönlichkeit. Was Koppelstätter auch gut kann, sind die Beschreibungen der ländlichen Dorfbewohner in den Bergen, die Naturschilderungen. Die Unterschiede zwischen den feinen Wienern und dem derben Bergvolk führen zu Missverständnissen, Argwohn und Unsicherheit auf beiden Seiten. Koppelstätter arbeitet in diesem Umfeld die charakterlichen Diskrepanzen, die menschlichen Schwierigkeiten des Ehepaars Mahler heraus.
Der Leser bekommt den Eindruck einer Ehe, die von Anfang an zum Scheitern verurteilt ist. Das liegt nicht nur am Altersunterschied zwischen Alma und Gustav von 19 Jahren, sondern an einem grundsätzlichen Dilemma: Zu unterschiedlich sind diese beiden Charaktere und ihre Bedürfnisse: Alma ist durch und durch eine Frau des „Fin du siecle“. Voller Lust und Sinnlichkeit genießt sie das Wiener Leben der Salons, seiner Feste und der Eitelkeiten, der Affären: „Ein Stadtmensch wie sie war nicht gemacht für diese Frische. Das war, als steckte man Kühe, die Almwiesen gewohnt waren, in ein Kaffeehaus. Ihre Idealluft war die Wiener Gesellschaftsluft, New York ihretwegen, Champagnerluft, Denkerluft, parfumgetränkter Schweiß. Tabakrauch auf feiner Seide. Nicht Almentau auf grober Schafswolle. … Er war ihr schnell zehn Meter voraus. Je schneller er lief, desto langsamer ging sie. Er stampfte mehr, als er schritt… Wie ein alter, vom Winter ausgemergelter Hirsch wirkte er, von Jägern umzingelt. Aus dem dunklen, grünen Wald herausgejagt, im Labyrinth des Dorfes verloren, von den Häusern umzingelt. Ohne Ausweg.“
Mahler, bereits von Krankheit gezeichnet, vereinsamt mehr und mehr in der Sommerfrische als Asket und genialer Workalholic, der – wenn er irgend kann – jegliche Gesellschaft meidet, das Alleinsein und die Berge liebt. Zwanghaft, selbstzerstörerisch verfolgt er seine Mission als Komponist und Dirigent.
Menschlich hypersensibel charakterisiert Koppelstätter den Komponisten Mahler, der auch in der Sommerfrische rastlos arbeitet, sportliche Betätigungen wie Wandern, Klettern, Schwimmen exzessiv betreibt. Im „Epilog“ dieser Erzählung ist diese Unrast signifikant zusammengefasst:
„Da lag er nun vor ihr, ausgepackt, am Tisch im Foyer, in ihrem Wiener Gartenaus. Die Lider waren geschlossen, trotzdem schaute er streng. Mit dem ganzen Gesicht. Ruhte er in Frieden? Mahler doch nicht. Auch nicht in seine Totenmaske. Gustav, ach, Gustav. Es war zu Ende. Und würde doch nie vorbei sein. Ein Mahler ging nicht vorbei.“ (S. 204).
Fast kriminalistisch detailgenau erzählt Koppelstätter von diesen beiden Einsamen in ihrer Ehe. Es kommt wie es so häufig kommt: Jeder wendet sich anderem zu. Alma ihren Liebhabern, in dieser Zeit Walter Gropius, ihren Flirts, ihren Erinnerungen, ihren Eitelkeiten. Gustav bekommt das mit, ahnend, wissend durch einen Liebesbrief, der an seine Frau gerichtet ist und verzweifelt darin in seiner Arbeit, sucht eine bessere Welt im Komponieren.
Koppelstätters emotional sezierende Sprache geht dem Leser unter die Haut und macht diese Alma-Gustav-Erzählung spannend, erschütternd, wirft einen äußerst menschlichen Blick auf dieses faszinierende Künstlerpaar der Belle Epoque.