Musikalische Buchempfehlungen zur Weihnachtszeit
Autorin: Sabine Kreimendahl
Musikalisches Leseglück im winterlichen Japan: Natsu Miyashita „Der Klang der Wälder“, aus dem Japanischen von Sabine Mangold, Insel Verlag, Berlin 2021
Eigentlich ist ein Klavier ein einfaches Instrument: „Schafswolle an den Köpfen der Hämmer schlägt auf Saiten aus Stahl. Und das wird zu Musik.“ Die japanische Autorin Natsu Miyashita (1967 in der japanischen Präfektur Fukui geboren) beschreibt das mit diesem einfachen Bild in ihrem wunderbaren Millionenbestseller „Der Klang der Wälder“. Es ist ein berührendes, poetisches Buch mit detailreichen Klavierbauwissen und pianistischer Erfahrung geschrieben. Die Autorin ist selbst leidenschaftliche Klavierspielerin seit Kindertagen.
In ihrer Erzählung geht es um den jungen Tomura, der einem Klavierstimmer bei der Arbeit belauscht und sich durch den Klang in die Wälder seiner Kindheit und Heimat zurückversetzt fühlt. Tomura ist so begeistert, dass er das Handwerk des Klavierstimmens erlernt, immer auf der Suche nach dem perfekten Klang. Das alles ist mit ehrlicher, oft ehrfurchtsvoller Naivität, beschrieben. Der Leser bekommt hierbei nicht nur Einblick in die Kunst des hochprofessionellen Klavierstimmens, des Stellenwerts der Musik in Japan, sondern auch menschlich berührende Eindrücke der japanischen Mentalität. So ist dieses poetische Buch auch eine feine, oft humorvolle Begegnung mit japanischer Kultur, mit Höflichkeit, mit Taktgefühl, mit ehrgeiziger Perfektion.
„(S. 84 f.) …Wie konnte ein Instrument wie das Klavier so etwas hervorzaubern? Von einem Blatt zu einem Baum, von einem Baum zu einem Wald bis hin zu einem Berg. Ich konnte bildhaft vor mir sehen, wie der Ton zu Klang, der Klang zu Musik wurde. Ich begriff, dass ich ein verirrtes Kind auf der Suche nach dem Göttlichen war, wobei mir gar nicht bewusst gewesen war, dass ich mich verirrt hatte. Dieser Klang war es, nach dem ich gesucht hatte. … Er ist es in seiner Schönheit, der mich auf meinem Weg leitet.“
Zart entwickelt sich die Annäherung des schüchternen Tomura an die beiden Schwestern Kazune und Yuni, die beide eine pianistische Laufbahn anstreben. In den emotionalen Schilderungen des Ich-Erzählers offenbart die Autorin Natsu Miyashita jugendliche Offenheit und Unsicherheit gleichermaßen.
Ihr Roman ist ein stilles, ein innerliches musikalisches Lesevergnügen just für dunkle Wintertage.
Joachim Mischke: Der Klassik-Kanon, 44 Komponisten, von denen man gehört haben muss, 288 Seiten, Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2020, 25 €
Klassische Konzertführer gibt es viele. Braucht es da noch eine Neuerscheinung? Joachim Mischke, Musikredakteur des „Hamburger Abendblatts“ kann und will sich mit seinem „Klassik-Kanon“ im handlichen Format von ca. 21 x 14 cm da nicht einordnen. Vielmehr geht es dem kundigen 57-jährigen Journalisten darum „eine legale Einstiegsdroge in die Kunstform des Komponierens von Musik“ zu liefern. Wer liest so etwas? Nun, vielleicht Menschen, die erst anfangen sich mit Klassik zu beschäftigen. Das ist keineswegs an ein bestimmtes Alter gebunden. Als Geschenk für Kinder ab 10 Jahren taugt dieses Buch auch. Die modern-plakativen Schwarz-Weiß-Illustrationen der Agentur Fricke-Götz machen das äußere Erscheinungsbild der 44 Komponisten peppiger als historische Porträts. Natürlich lässt sich über die Auswahl der Komponisten streiten, aber insgesamt spiegelt die Auswahl schon das wieder, was dem Leser im Konzertsaal oder im Musikunterricht begegnet.
Jeder Komponist bekommt bei Mischke fünf Seiten. Darin erfährt der Leser Wesentliches über den Werdegang, die Macken und Besonderheiten des Komponisten. Abgeschlossen wird das Ganze mit einem stichpunktartigen Resümee wie „Einstiegsdroge“ (bei Bach werden da – erstaunlicherweise – die „Goldbergvariationen“ genannt), „Das typischste Stück“ (bei Beethoven die „Fünfte“) , „Für Fortgeschrittene“ (bei Mozart die „Jupiter-Symphonie“) und einer Besonderheit wie „Extraschwer“ (bei Beethoven die „Große Fuge “) oder beispielsweise „Ein Instrument, eine Welt” (Bachs „Chaconne“ aus der d-Moll-Partita). Es macht Spaß in diesem Büchlein zu blättern, sich schnell zu informieren, nochmal kurz nachzulesen. Noch amüsanter, informativ, in der Auswahl jedoch eingeschränkter, ist Konrad Beikirchers köstlich zu lesender Konzertführer „Der Beikircher – Andante Spumante“, der auch 20 Jahre nach seinem Erscheinen nichts an Aktualität eingebüßt hat und immer wieder Lachtränen hervorruft (bei Kiepenheuer & Witsch, 2001 in Köln erschienen).
Joachim Mischke: Geschichten und Geheimnisse der Elbphilharmonie, 176 Seiten, Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2021, 26 €
Erst kürzlich waren das NDR Elbphilharmonie Orchester und sein Chefdirigent Alan Gilbert mit einem fulminanten, bejubelten Auftritt beim gVe zu erleben. Mancher Konzertbesucher wünschte sich – bei aller Sympathie für die Ladeshalle – einen Besuch in der Heimstatt dieses phänomenalen Orchesters, im ebenso phänomenalen Konzertsaal der Elbphilharmonie zu erleben.
Joachim Mischke, Musikwissenschaftler und Redakteur beim „Hamburger Abendblatt“, macht mit einem kürzlich erschienenen Bildband mit fantastischen Fotografien von Thomas Leidig große, sehr große Lust auf das Erleben eines solchen Gesamtkunstwerks bestehend aus Musik, Orchester, Dirigent und Konzertsaalarchitektur.
Fünf Jahre ist die „Elphi“ jung und eine der begehrtesten Kulturstätten Europas für Orchester, Dirigenten, Solisten (quer durch die Musikbranche) und Publikum gleichermaßen.
In 22 launigen und bestens informierenden Kapiteln über den erstaunlichen Bau samt einem fabelhaft lebendigen Rückblick in Fotografien gehört dieser ansprechende Bildband zu denjenigen, die man liebend gerne durchblättert und sogar liest (was ja bei Bildbänden eher die Ausnahme sein dürfte)! Denn Joachim Mischke verpackt seine Liebe, seinen Stolz, seine Begegnungen, seine Informationen mit viel Detailwissen über die „Elphi“ in viele Bonmots, Anekdoten und Kuriositäten. Das liest sich im flüssig-gewitzten Schreibstil nicht nur unterhaltsam weg, sondern erhellt auch viele Zusammenhänge und Geburtswehen des zunächst umstrittenen, skandalumwitterten Wahrzeichens Hamburgs.
Da kommt der bibliophile Elphi-Besucher ins Staunen, wie hier getüftelt wurde: „Hier kommt ästhetisch alles mit allem zusammen“, sagt Mischke und beweist das, indem er die architektonischen Komponenten gut nachvollziehbar erläutert, auf die akribische Maßanfertigung von Details hinweist. Nichts ist hier dem Zufall überlassen.
Die Akustik beispielsweise: Gehört sie wirklich zu den zehn Besten der Welt? Der ehemalige NDR-Chefdirigent Christoph von Dohnanyi meinte dazu nur: „So etwas ist immer schwierig… eine der zehn schönsten Frauen, einer der zehn besten Fußballer?…Ich hab mit der Akustik kein Problem. Wenn Sie gut Auto fahren, können Sie mit jedem Auto gut Auto fahren.“
Lakonisch doppeldeutig resümiert der Autor: „Wenn man alles hört, hört man alles“. Das steigert für viele KünstlerInnen das Lampenfieber. Beste Vorbereitung ist hier dringend angeraten! Das Publikum – egal auf welchem der 2091 Plätze im Großen Saal gebucht – hat immer beste Sicht- und Hörverhältnisse. Maximal 30 Meter ist der weiteste Platz vom Dirigentenpult entfernt. Intimität trotz Größe, hautnahes Hören, Erleben um das dirigentische Epizentrum: „Die Musik befeuert die Imagination, baut Welten auf, hinterfragt oder vergöttert sie vielleicht sogar, sie gibt ihre womöglich besten Antworten auf noch ungefragte Fragen“, so der Autor. Das gilt auch für den kleinen Saal, der für Kammermusik, kleinere Besetzungen genutzt wird. Der Geiger Gidon Kremer, für seine sperrigen Programme bekannt, meinte: „Als Künstler bin ich verpflichtet, Fragen zu stellen, nicht Antworten zu geben“ und dafür ist die Elphi bestens geeignet.
Die Elphi ist begehrt. Das machen auch die amüsanten Schwarz-Weiß-Grafiken von Mario Mensch deutlich: So gab es zur Eröffnung 53.000 Nachfragen auf 2000 Tickets. Beim Gewinnspiel auf 1000 Tickets gab es 223.346 Teilnehmer. Alle verkauften Getränke aus der Saison 2017/18 würden einen Swimmingpool mit einer Seitenlänge von sieben Metern und einer Tiefe von drei Metern füllen. 1500 Gläser gehen dabei pro Saison zu Bruch, 53.388 Brezeln knabbert das Publikum jährlich in den Pausen.
Spannend und kurzweilig liest sich das alles, auch, wenn es um den „Hangar: Das Flügel-Lager“ geht. Mitsuko Uchida – auch schon beim gVe in Erlangen aufgetreten – hatte die Auswahl der hauseigenen Flügel vorgenommen. Fünf Steinways sind es, damit die hochkarätigen Pianisten eine Auswahl haben. Denn die Beziehung zum Instrument ist sehr persönlich. Martha Argerich meinte dazu: „Manchmal spielt der Flügel besser als ich“.
Ein eigenes Kapitel widmet sich der extravaganten Orgel aus der Werkstatt der Orgelbaulegende von Philipp Klais. Vier Manuale, 69 Register, 4765 Pfeifen bei Maßen von 15 mal 15 Metern. Organist Thomas Cornelius charakterisierte dies: „Die Orgel nimmt dich in den Schwitzkasten. Der Klang kommt um dich herum, schaut dich von vorn an und raunt: ´Na, du?´“.
Schnell wurde die Elphi ein „Aktivposten im Stadtmarketing“, ein weltweiter „Eyecatcher“ von mondänen Archtekturbüros entworfen, gebaut. Und die Hamburger sind stolz auf ihr neues Wahrzeichen, wissen, dass die „Elphi“ internationaler Publikumsmagnet ist, der Attraktivität und dem wirtschaftlichen Wachstum ihrer Stadt zuträglich ist. Hamburgs Stadtreinigung albert mit Wortspielen wie „Hier spielt die 9. in d-Müll“ oder „Welch liebliche Müllodie!“ bis hin zur „Sauberflöte“.
Schopenhauer meinte „Architektur ist gefrorene Musik“. Der Autor dieses fabelhaften Bandes, Joachim Mischke, zeigt in diesem „Appetizer“ anregend, begeisternd die Verbindungen und Qualitäten zwischen Musik und Architektur auf.
Ein tolles Weihnachtsgeschenk, aber vielleicht doch gleich zwei kaufen und eines selbst behalten und dann einmal nach Hamburg in ein Konzert in der Elphi pilgern!