unerHÖRT! Sonderkonzert Werner Heider zum 90.sten
Autorin: Cora Uitting
„Ich bin einer der ersten Neunzigjährigen des Jahres 2020!“ sagt Werner Heider, geboren am 1. Januar 1930, mit dem ihm eigenen verschmitzten Lächeln. Auf das Geburtstagsdatum reduziert ist das reiner Zufall, aber dieser Satz stimmt auch, wenn man den Menschen Werner Heider mit seiner Wirkung auf die Welt der Musik betrachtet.
Die Zuhörer beim ausverkauften Sonderkonzert im Innenhof des Erlanger Bürgerpalais, mit dem der gVe Erlangen und der Bayerische Rundfunk – Studio Franken ihre Reihe unerHÖRT! erweitert hatten, wurden von dieser Wirkung wieder einmal überwältigt.
„Neue Musik in klassischer Kammermusik-Besetzung“ bildet einen Schwerpunkt in Werner Heiders so vielseitigem Werk und schuf den Rahmen dieses Sonderkonzerts.
Wie präzise muss der Komponist das Wesen der „Sechs Eigenschaften für Streichtrio“ (2017) im Vorfeld analysieren, bevor er „Calmo“ in ruhige, aber lebendige Klangintensität setzen kann oder für das „Capriccioso“ jedem Instrument maximale Freiheit gibt, ohne die Struktur aufzugeben.
Wie intensiv muss der Schmerz erlebt worden sein, bevor der Komponist überhaupt in der Lage ist, mit dem „Lamento passionato für Streichquartett“ (2012) ein geradezu fotografisches Tonbild der Klage, des inneren Aufbegehrens gegen die Realität zu erstellen. Nur Werner Heider kommt auf die Idee, duftige Pizzicato-Bälle als Symbol für zwickenden, nicht loslassenden Kummer von Instrument zu Instrument werfen zu lassen.
Warme, orchestrale Klänge prägen das „Quintett für Klarinette und Streicher“ (2015), das sich im „Nocturne“ als wahres Nachtstück des Biedermeier zeigt, in dem sich heimlich – gerne auch kontroverse – Unterhaltungen abspielen. Im „Animazione“ offenbart sich ein Ozean der musikalischen Einfälle und Spieltechniken bevor der „Ausklang“ mit seinen zart bewegten, weichen Klangwelten den Zuhörer in einen leichten Schwebezustand versetzt. Zauberhaft.
„Kinder, schafft Neues“ gilt auch für 90Jährige und so kamen auch Werke aus Werner Heiders aktuellem Schaffen zur Uraufführung, darunter „5 Klavierstücke“, die von der Klangpracht des „Run“ über das durch starken Pedaleinsatz wie hinter einem Gazevorhang wirkende „Stille Stück 2“ zum „Dreier“, der auf ¾-Takt-Basis „Blue Notes“ synkopiert, führen. Tiefes Versunkensein hypnotisiert im „Stillen Stück 3“, bei dem das Klavier die Akkorde wie schimmernde Tropfen fallen lässt. Im „Tango marciale“ balanciert Heider auf der (eigentlich nur theoretisch existierenden) Grenze zwischen Avantgarde und Jazz, das Beste beider Welten verschmelzend.
Auch die „Sieben Teile für Klaviertrio“ vollendete Heider erst im vergangenen Jahr. In diesem Lichte erstaunt der experimentelle Wagemut in „zusammen bis …“, bei dem impulsive Bewegungen immer wieder im Nichts enden oder bei „fünf und sieben und …“ mitzählbare Repetitionen durch die Instrumente wandern. Tief beseelt erklingt das „con anima“ während sich „in der Höhe, Mitte Tiefe“ Akkord-Figuren ein kurzes Treffen gönnen. Im Grunde ist das „um H“ eine herrliche Violin-Arie, deren Kantilenen sich um die Note H herum schlingen, bevor „gegen – dagegen“ trotz seiner Monotonie absolut fesselt und sich zu furioser Vitalität nah an der Unspielbarkeit entwickelt. Der ruhige letzte Satz – „Ein End’“ – verklingt in Wehmut …
Damit musikalische Preziosen wie die beschriebenen Werke von Werner Heider ihren Zauber und ihre Kraft voll entfalten können, müssen sie von absolut herausragenden Musikern interpretiert werden. Norbert Nagel (Klarinette), Ingo Dannhorn (Klavier), Valerie Rubin und Christiane Seefried (Violinen), Reingard Krämer (Viola) und Christoph Spehr (Violoncello) bildeten in den jeweiligen Ensembles die idealen Klangkörper. Sie gaben nicht nur ihre grenzenlose Virtuosität sondern auch ihr tiefes Wissen, ihre Empathie und ihre Liebe zu Werk und Schöpfer hin.
Beglückt feierte das Publikum die großartigen Musiker, das musikalische Erlebnis und das strahlende Geburtstags-“Kind“.